Das Guttenberg-Syndrom

Um es vorweg zu nehmen: Ich bin dafür, dass zu Guttenberg im Amt bleibt oder der halbe Bundestag gefeuert wird. Der faux pas, den er sich geleistet hat, ist politisch weitgehend irrelevant. Es wäre schade, wenn er wegen einer Nebensächlichkeit entlassen wird und die großen Schweinereien im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg ungesühnt bleiben. Da müssten aber, wenn er geht, nach gleichen Maßstäben viele andere auch gehen.

Erinnern wir uns: Seit Roland Koch ist die Lüge ein legitimes Mittel der deutschen Politik. Roland Koch hatte lauthals erklärt, dass er von den hessischen CDU-Spendenaffären nichts gewusst hat. Es stellte sich heraus, dass er alles gewusst hatte und er blieb im Amt. Später wurde er sogar erneut demokratisch legitimiert. Das bedeutet, dass auch der Wähler die Lüge als Mittel der Politik akzeptiert hat.

Anders zu Guttenberg: Er hat vor der Affäre, von ein paar kleineren Notlügen abgesehen, die man ihm nachgesehen hat, selbst nicht offen gelogen. Für das eigentliche Verbrechen, an dem er beteiligt ist, das Elend, das sich derzeit in Afghanistan abpielt, gehört der halbe Bundestag entlassen. Seine „Fälschungen“ in der Dissertationsschrift waren politisch nicht relevant. Sie ruhen in einem Buch, das, wenn man nicht zufällig darauf gestoßen wäre, aufgrund seiner geringen wissenschaftlichen Bedeutung für ewig in den Archiven und Bibliotheken verstaubt wäre. Politisch relevant und schwerwiegend sind seine folgenden Lügen: Richtig gelogen hat er erst im Rückzugsgefecht um seinen Doktortitel. So blöd kann niemand sein: Entweder er hat die Stellen bewusst geklaut und verändert oder er hat einen Ghostwriter beschäftigt.

Falls er die Arbeit selbst geschrieben hat, stellen sich eine Reihe von Fragen. Warum hat er, wenn man an vielen Universitäten die Seitenzahl einer Promotion auf 150 Seiten begrenzt (in Bayreuth allerdings nicht), so ein Riesenwerk geschrieben, in dem praktisch nichts steht? Schwer zu sagen. Vielleicht hat ihn der Doktorvater ermuntert? Vielleicht glaubte er mit mehr Umfang eine bessere Bewertung erreichen? Vielleicht wollte er selbst mal ein richtiges Buch und keine dünne Broschüre verfasst haben?

Was die Plagiate selbst betrifft, ist Folgendes klar: zu Guttenberg muss über mehrere Jahre klar gewesen sein, dass er mit fremden Textstellen arbeitet. Er hat sie intelligent eingefügt, dem Textfluss angepasst und selbst thematisch passen sie einigermaßen. Diese Arbeit muss begleitet gewesen sein von einem Bewusstsein seiner geistigen Unzulänglichkeit, Ähnliches mit eigenen Worten zu formulieren. Auch hier stellt sich die Frage: Warum? Warum hat er überhaupt promoviert? Er wäre auch ohnedies Minister geworden. Es scheint für alle diese Rätsel nur eine Erklärung zu geben: eine übermäßige Eitelkeit. Wenn man diese allerdings mit seinem „kreativen“ Umgang mit fremden Quellen zusammenrechnet, hat man allerdings ganz wichtige Voraussetzungen für das Handwerkszeug eines Politikers.

Diese Eitelkeit zusammen mit der in Deutschland sehr üblichen Praxis von Gefälligkeitspromotionen ergab die „kritische“ Masse, die ihn zu diesem unseligen Promotionsverfahren geführt hat. Es gibt genug Doktoren, die Schwierigkeiten haben, einen grammatikalisch korrekten Satz zu bilden. Von diesen hebt sich zu Guttenberg wohltuend ab. Insgesamt stellt sich also nicht sosehr die Frage nach Amt und Titel des Verteidigungsministers, sondern nach den Professorentiteln von Doktorvater und Gutachtern. Wer sein Fachgebiet beherrscht und die Arbeit wirklich aufmerksam gelesen hat, muss wenigstens Verdacht geschöpft haben. Ein Teil der Ideen, die zu Guttenberg „übernommen“ hat, sind wie auch ihre Autoren bekannt. Und: Eine Dissertation in Deutschland muss nach der Promotionsordnung der meisten Universitäten nicht notwendigerweise originell sein. Aber man muss auch nicht jeden Mist mit der Bestnote summa cum laude bewerten.

Christoph Columnus

 

Nachtrag vom 2.3.2011: Die Rücktritssrede hat die hier vertretene These, das zu Guttenberg von seiner eigenen Eitelkeit bis auf die Knochen durchfressen ist, bestätigt. Sein Argument, dass man sich um seine Dissertation gekümmert habe, nicht aber um die in Afghanistan gefallenen Deutschen deutet auf den eigentlich neuralgischen Punkt hin: Als Kriegsbefürworter ist er an deren Tod mit schuld!

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